Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit den öffentlichen Debatten über die Genealogie der polnischen Sozialwissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg. Es wird gezeigt, wie sich in der Periode zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges (1945) und der Stalinisierung der polnischen Wissenschaft im Rahmen des „Ersten Kongresses der polnischen Wissenschaft“ (1951) die Grenzen des Erlaubten in öffentlichen Diskussionen über die wissenschaftliche Identität der Soziologie verschoben haben. Der Artikel, der vor allem auf der Analyse der öffentlichen Haltung des Organisators der soziologischen Gruppe Józef Chałasiński basiert ist, beschreibt die Entwicklungsetappen des öffentlichen Diskurses über die akademische Tradition der Sozialwissenschaften, die den zunehmenden Einfluss der politischen Agenda auf die wissenschaftliche Praxis widerspiegeln. Obwohl unmittelbar nach dem Krieg die Kontinuität mit der Zwischenkriegstradition und der „limitierte Charakter“ des marxistischen Ansatzes betont wurden, hat die beginnende Stalinisierung des öffentlichen Raums 1948 dazu geführt, dass die politische Rolle der Soziologie, die zusammen mit dem Marxismus dem progressiven Lager angehörte, zum zentralen Punkt ihrer eigenen Genealogie wurde. Die Schließung der soziologischen Abteilungen und Zeitschriften zwischen 1950 und 1951 markierten dabei die neue Etappe im Rahmen der Vorbereitungssitzungen zum ersten wissenschaftlichen Kongress. Eine der Hauptaufgaben für die Sozialwissenschaften im Rahmen dieses Kongresses bestand darin, gemeinsam mit den Philosophen eine progressive wissenschaftliche Tradition Polens zu konstruieren. Der Kongress wurde für die polnischen Wissenschaftler zur Aufgabe mit bekanntem Ergebnis und mehreren obligatorischen Elementen wie einer „fortschrittlichen nationalen Tradition“, dem „Marxismus-Leninismus“ und einem „Sechsjahresplan“ zu verfassen. Trotz des starken Drucks von Seiten der Politik konnten die Teilnehmer der Diskussionen keinen Kompromiss im Hinblick auf die progressive Tradition der polnischen Sozialwissenschaften finden und so die notwendige „Einheit“ erreichen.
This article deals with the public debates on the genealogy of Polish social sciences after the Second World War. The author shows how the changes in political conditions in the period between the end of the war (1945) and the ‘Stalinisation’ of Polish science at the First Congress of Polish Science (1951) influenced the ‘limits of the permissible’ in public discussions about the scientific identity of sociology. The article describes the stages in the development of public discourse on the genealogy of the social sciences and thematises the increasing influence of the political agenda on the public practices of academics. When, immediately after the war, continuity with inter-war tradition, and the limited character of the Marxist approach, were particularly emphasised in the public discourse on the genealogy of social sciences, the beginning of the ‘Stalinisation’ of public space in 1948 forced the scholars to put emphasis on the political role of sociology, which, according to them, belonged to the ‘progressive camp’ together with Marxism. The closing of the sociological departments, and a journal, between 1950 and 1951 started a new stage of the debates within the preparatory meetings for the scientific congress. At this congress, the task of the social scientists was to construct, together with philosophers, a ‘progressive scientific tradition’ in Poland. For the Polish social scientists, the congress was a task to write a ‘mathematical equation’ with a known result and several mandatory elements such as ‘the progressive national tradition,’ ‘Marxism-Leninism,’ and ‘six-year plan.’ However, even under strong political pressure, the participants in the discussions did not come to a compromise concerning the progressive tradition of the Polish social sciences, and did not achieve the necessary ‘unity.’