Die Tracheostomie bei invasiv beatmeten Patienten mit Coronavirus-Erkrankung 2019
(COVID-19) bedeutet ein erhöhtes Expositionsrisiko mit virushaltigem Aerosol für das
Personal. Mit der "Hybridtracheostomie" gibt es eine Methode, welche die Vorteile
der konventionell chirurgischen und der perkutan dilatativen Methode vereint.
Das Thema "Tracheostomie" ist bei invasiv beatmeten COVID-19-Patient*innen Gegenstand
intensiver Diskussion. Anlass dafür ist in erster Linie die Sorge um eine die Mitarbeiter*innen
gefährdende Exposition mit virushaltigem Aerosol [8, 15].
Zudem sprechen einige Aspekte dafür, dass bei invasiv beatmeten Patienten mit COVID-19-Pneumonie
die Indikation zur Tracheostomie häufiger gestellt werden könnte als bei Pneumonien
anderer Ursache. Gründe dafür sind u. a.:
Längere Beatmungsdauer [2, 20].
Möglicherweise erhöhtes Risiko für ein Postextubationsversagen und demzufolge vermehrte
Indikation zur NIV-/Nasaler-High-Flow-Therapie und Reintubation, einhergehend mit
erhöhter Infektionsgefahr für Personal und erhöhter Mortalität der Patient*innen [6,
7].
Möglicherweise früher als üblich Indikationsstellung aufgrund von Versorgungsengpässen
mit Medikamenten (z. B. Sedativa).
In der aktuellen Literatur wird für die Tracheostomie bei COVID-19-Patienten weder
die konventionelle chirurgische Tracheostomie mit mukokutaner Anastomose noch die
perkutane Dilatationstracheostomie (PDT) als bevorzugtes Verfahren empfohlen [3, 12].
Als Vorteile der chirurgischen Methode werden der Verzicht auf eine begleitende Tracheobronchoskopie
durch den Endotrachealtubus (ETT) mit Aerosolbelastung [3, 19] und die Einschätzung
als das im Notfall insgesamt sicherste Verfahren genannt: Es kommt seltener zu Verletzungen
der Trachea (Knorpelspangenbrüchen, Hinterwandverletzungen) und anderen Komplikationen
(Malinsertion, Via falsa, Gefäßverletzungen; [10]).
In der Intensivmedizin wird üblicherweise die PDT als bevorzugte Methode empfohlen
[18]. Vorteile sind u. a., dass es durch den engen Punktionskanal viel seltener als
bei der konventionellen chirurgischen Tracheostomie zu Wundheilungsstörungen kommt
und sich der Punktionskanal nach Extubation in der Regel ohne weitere Operation binnen
weniger Tage verschließt, während nach Anlage einer mukokutanen Anastomose in der
Regel ein plastischer Tracheostomaverschluss notwendig wird [10]. Ein gewisses Risiko
für Verletzungen, z. B. von Trachealspangen, bleibt jedoch trotz tracheobronchoskopischer
Kontrolle bestehen.
Die "Hybridtracheostomie"
Das vorgestellte Hybridverfahren kombiniert die Vorteile der konventionellen offen-chirurgischen
und der dilatativen Technik:
Sichere, minimal-invasive chirurgische Darstellung und Inzision der Trachea von außen
über einen deutlich kleineren Zugang als bei der konventionellen Tracheostomie.
Sichere Sondierung der eröffneten Trachea mit einem handelsüblichen Set, bestehend
aus einer Trachealkanüle mit atraumatischem Einführsystem (▶Abb. 1; Prinzip nach Ciaglia
[4]), unter Sicht ohne Scherkräfte und Druckanwendung und damit unter Vermeidung der
oben genannten Nachteile der PDT.
Zu erwartender spontaner Verschluss des Tracheostomas nach Dekanülierung bei positivem
Heilungsverlauf.
Unter infektiologischen Gesichtspunkten besonders hervorzuheben ist das geringe Risiko
für eine Aerosolexposition:
Während der Intervention: durch Wegfall der Tracheobronchoskopie und geplante Apnoephasen.
Im weiteren Verlauf: durch den minimal-invasiven Zugang geringe Wahrscheinlichkeit
für Nebenluft aufgrund von Kanülendislokation, Wundheilungsstörungen u. a.
Dieses Vorgehen setzt voraus, dass sich in der Sonografie des Halses keine große Struma,
keine großlumigen atypischen Gefäße und keine weiteren Auffälligkeiten zeigen; auch
eine extreme Adipositas oder ein erheblicher Fassthorax können ein intraoperatives
Wechseln auf eine konventionell-chirurgische Tracheostomaanlage erforderlich machen.
Durchführung
Ort der Intervention
Am Patientenbett.
Personalstärke
Ein/e Intensivmediziner/in und eine Intensivpflegekraft.
Ein/e Operateur/in und eine Assistenz.
Ein Springer außerhalb des Patientenzimmers.
Vorbereitung
Neben den üblichen Vorbereitungs- und Sicherheitsmaßnahmen müssen die aktuellen Empfehlungen
zum Umgang mit COVID-19-Patient*innen, insbesondere die Hygienevorschriften und das
Tragen der vorgeschriebenen Personenschutzausrüstung, unbedingt befolgt werden.
Die Patient*innen erhalten 30 min vor Beginn der Intervention 250 mg Prednisolon i.v.,
um das Risiko eines periinterventionellen Bronchospasmus zu reduzieren, und werden
zur Intervention relaxiert.
Intervention
Schritt 1.
Präparation der Trachea. Diese erfolgt über einen Hautschnitt < 2 cm und stumpfe Präparation
der Halsweichteile mit Beiseitedrängen bzw. Absetzen relevanter Strukturen. Auffinden
der Trachea und der 2. Trachealspange (▶Abb. 2).
Schritt 2.
Auf Ansage des Operateurs den mit 25-35 cmH2O kontrolliert geblockten Tubus tief nach
endotracheal vorschieben. Anhand der Beobachtung der Thoraxexkursion und unter Kontrolle
des Atemzugvolumens wird eine Lage direkt oberhalb der Carina mit beidseitiger Ventilation
angestrebt. Das proximale Ende der Tubusblockung muss sicher distal des Tracheostomiezugangs
liegen.
Schritt 3.
Eröffnen der Trachea mit Querschnitt zwischen 2. und 3. Trachealspange. Stumpfes Erweitern
des Tracheallumens mit den Branchen eines langen Nasenspekulums. Insertion der Seldinger-Führung
der Punktionskanüle in die Trachea (▶Abb. 3).
Schritt 4.
Nach Freigabe durch den Operateur:
Änderung der Respiratoreinstellungen:
A.
PEEP-Einstellung = 0 cmH2O für wenige Atemzüge
B.
Beatmung stoppen = Apnoe
Tubus entblocken und entfernen.
Schritt 5.
Vorschieben der Punktionstracheostomiekanüle unter Sicht in die Trachea unter Führung
durch die Seldinger-Führung und Blockung. Eine tracheobronchoskopische Kontrolle ist
durch die sichere Exposition und Inzision der Trachea sowie durch das Fehlen von Scherkräften
bei der Einführung des Tubus nicht notwendig (▶Abb. 4).
Schritt 6.
Umsetzen des Beatmungsschlauchs auf die Trachealkanüle. Starten des Respirators und
Einstellung der Beatmungsparameter wie vor der Intervention.
Mit Umsetzen des Beatmungsschlauchsystems wird eine vorbereitete geschlossene Absaugung
für Trachealkanülen und ggf. ein neuer HME-Filter angeschlossen.
Schritt 7.
Fixierung der Trachealkanüle mit Nahtmaterial.
Die Dauer der Intervention vom Hautschnitt bis zur Fixierung der Trachealkanüle betrug
maximal 15 min.
Patienten
Patientendaten, Vorerkrankungen und Respiratoreinstellungen vor Tracheostomie sind
in ▶Tab. 1 aufgeführt.
Patient
1
2
3
4
5
6
Patientendaten
Alter (Jahre)
65
63
84
80
64
87
Geschlecht
m
m
m
w
m
m
SAPS-II-Aufnahme ITS
37
42
35
57
49
35
SAPS-II-Tracheotomie
38
40
46
48
47
35
Zeit Intubation bis Tracheostomie (Tage)
16
16
16
18
16
16
Vorerkrankungen
arterieller Hypertonus/KHK
Ø
+
+
+
+
+
Diabetes mellitus
Ø
Ø
+
Ø
+
+
chronische Niereninsuffizienz
Ø
Ø
+
+
+
+
COPD/Asthma bronchiale
Ø
+
Ø
Ø
Ø
Ø
BMI
26,1
26,1
24,7
23,1
25,9
36,1
Respiratoreinstellungen vor Tracheostomie
Modus
CPAP/PS
CPAP/PS
CPAP/PS
BIPAP®
BIPAP®
BIPAP®
PEEP (cmH20)
8
8
9
8
14
14
PS bzw. "driving pressure" (cmH20)
6
6
12
8
14
15
FiO2
0,35
0,3
0,3
0,35
0,5
0,5
SAPS Simplified Acute Physiology Score, KHK koronare Herzkrankheit, COPD "chronic
obstructive pulmonary disease", BMI Body-Mass-Index, CPAP "continuous positive airway
pressure", PS "pressure support", PEEP "positive end-expiratory pressure", "driving
pressure" inspiratorischer Plateaudruck - PEEP, FiO
2 inspiratorische Sauerstofffraktion
Alle Patient*innen waren initial im tiefen Rachenabstrich positiv für SARS-CoV 2 getestet
worden. Bei drei Patienten waren nach Tracheostomie die aus dem Tracheobronchialsystem
entnommenen Proben positiv, in den anderen Fällen fielen die Ergebnisse nach Tracheostomie
negativ aus.
Verlaufsbeobachtung
Patienten
In keinem Fall kam es während der Apnoephasen zu einem Abfall der pulsoxymetrischen
Sättigung unter 97 % (FiO2 1,0). In allen Fällen war nach Wiederaufnahme der Beatmung
innerhalb weniger Minuten das Tidalvolumen vor Intervention erreicht.
Während der Intervention und im Nachbeobachtungszeitraum von 5 bis 27 Tagen wurden
weder Verletzungen der Halsorgane noch lokale Wundheilungsstörungen diagnostiziert.
Zwei Patienten sind verstorben. Die Todesursache war in einem Fall ein septisches
Multiorganversagen, im anderen Fall verstarb der Patient nach Therapiezieländerung.
Drei Patienten wurden zur vollständigen Entwöhnung vom Ventilator in ein entsprechendes
Zentrum verlegt (15-27 Tage nach Tracheostomie). Zum Verlegungszeitpunkt waren alle
Patient*innen wach, orientiert und in den Stuhl mobilisiert. Alle Patient*innen waren
mit Druckunterstützung spontanatmend; im Tagesverlauf war für 8-13 h Spontanatmung
ohne Respiratorunterstützung möglich. Ein Patient konnte vollständig entwöhnt und
dekanüliert, wach und adäquat sowie ins Gehen mobilisiert auf eine Normalstation verlegt
werden.
Personal
In unserer Institution erhalten derzeit alle Mitarbeiter*innen mit patientennaher
Tätigkeit im 4 Tages-Rhythmus einen tiefen Rachenabstrich zum Screening auf SARS-CoV-2-Infektion.
Alle an den Tracheostomien beteiligten Personen sind im Zeitraum von erster Tracheostomie
bis Einreichen dieses Beitrags (58 Tage) zu keinem Zeitpunkt positiv getestet worden
und nicht mit Symptomen eines Atemwegsinfekts erkrankt.
Diskussion
Wir berichten erstmalig über ein kombiniertes Verfahren aus chirurgischer und dilatativer
Vorgehensweise zur Tracheostomie bei COVID-19-Patienten, welches bei sechs konsekutiven
Patient*innen mit moderaten Respiratoreinstellungen komplikationslos durchgeführt
wurde.
Grundsätzlich wird eine zurückhaltende Indikationsstellung zur Tracheostomie bei invasiv
beatmeten COVID-19-Patienten empfohlen [11]. Diese Empfehlung beruht vor allem auf
der Absicht, die Infektionsgefahr für das Personal so gering wie möglich zu halten.
Ist dennoch eine Tracheostomie indiziert, so ist das Verfahren zu favorisieren, welches
angesichts von Erfahrung und Verfügbarkeit in der betreffenden Institution mit der
geringsten Ansteckungsgefahr für das Personal bei gleichzeitig hoher Sicherheit für
den Patienten einhergeht.
Allgemein empfohlen wird diesbezüglich die Integration von Apnoephasen in den Ablauf
einer Tracheostomie [12, 14].
Diese Anregungen haben wir aufgenommen und versucht, unter Vermeidung der Nachteile
von konventioneller chirurgischer und dilatativer Methode die Vorteile beider Verfahren
zu kombinieren mit dem Ziel, sowohl das Ansteckungsrisiko für das Personal als auch
für die Patient*innen die Risiken für Verletzungen und Wundheilungsstörungen sowie
für negative Folgen der Apnoephasen zu minimieren.
Die "Hybridtracheostomie" konnte an dem hier beschriebenen kleinen Kollektiv von sechs
Patienten komplikationslos für die Patient*innen und ohne Ansteckung der beteiligten
Mitarbeiter*innen durchgeführt werden.
Von weiteren alternativen Modifikationen der konventionellen Verfahren bei COVID-19-Patient*innen
wird berichtet. Um die Apnoezeit bei der PDT zu verkürzen, wurde bei 98 Patienten
zur visuellen Kontrolle das Endoskop neben dem distal in der Trachea positionierten
ETT eingeführt [1]. Die Apnoephase wurde erst nach Dilatation des Punktionskanals
mit dem "Blue Rhino®-Introducer" (Cook Medical, USA) unmittelbar vor Entfernung des
ETT gestartet und war somit von kurzer Dauer.
Trotz kurzfristig gleichzeitiger Platzierung eines ETT und des "Blue Rhino®-Introducers"
(Cook Medical, USA) werden Verletzungen der Trachea nicht beschrieben. Bei einem mittleren
Durchmesser der Erwachsenentrachea von 13 bis 20 mm [5], einem äußeren Durchmesser
des ETT von ca. 9 bis 12 mm sowie einem Durchmesser des Dilatators von ca. 12 mm auf
Höhe der endotracheal sichtbaren Markierung "38 Fr" erscheint uns das Risiko für tracheale
Verletzungen bei dieser Vorgehensweise jedoch nicht gering.
Ebenso ist bei der Länge einer Erwachsenentrachea von 10 bis 13 cm [5] und einer lichten
Entfernung von ca. 13 cm zwischen der Markierung "38 Fr" bis zur Spitze der weißen
Einführungshilfe eine kurzfristige Aerosolexposition durch Leckage während des Dilatationsvorgangs
entlang der Tubusblockung bei fortgesetzter Ventilation vorstellbar. Im Nachbeobachtungszeitraum
von durchschnittlich 11 Tagen kam es allerdings zu keiner Ansteckung.
Die Verwendung eines ETT mit aufgesetzter Kamera an der Tubusspitze [9] bietet die
Möglichkeit für den Verzicht auf ein Endoskop. Eine Tubusplatzierung distal der Punktionsstelle
ist ohne Verlust der visuellen Kontrolle jedoch nicht möglich, sodass bei diesem Verfahren
die Apnoezeit gegenüber der Standard-PDT nicht reduziert wird. Als Vorbereitung ist
zudem die Umintubation zur Einlage des Spezialtubus notwendig.
Auch ein vollständiger Verzicht auf die Tracheoskopie senkt das Risiko für die Aerosolexposition.
Wenngleich die Tracheoskopie im Rahmen der PDT als Standard etabliert ist, wird diese
zum einen nicht zwingend vorgeschrieben [13, 16] - zum anderen ist eine Orientierungshilfe
auch sonografisch möglich.
Bei dem von uns vorgestellten Verfahren der "Hybridtracheostomie" wird im Vergleich
zu anderen Verfahren das erhöhte Expositionsrisiko durch Tracheoskopie vermieden,
das Risiko für Verletzungen der Trachea und anderer Strukturen sowie für Wundheilungsstörungen
durch die minimal-invasive Vorgehensweise in Zusammenhang mit der Nutzung einer PDT-Kanüle
reduziert und die Zeit in Apnoe minimiert. Die Gefahr für eine Dislokation der Trachealkanüle
und damit des Entweichens von Aerosolen im weiteren Verlauf ist im Vergleich mit der
konventionellen offen-chirurgischen Tracheostomie ebenfalls reduziert. Im Unterschied
zur konventionellen PDT ist allerdings die Einbeziehung eines HNO-Teams erforderlich.
Unsere Erfahrungen mit der "Hybridtracheostomie" sind angesichts des kleinen Patientenkollektivs
noch sehr begrenzt. Bezüglich der Infektiosität der Patient*innen zum Zeitpunkt der
Tracheostomie können wir keine sicheren Aussagen treffen, u. a. da bei den nach Tracheostomie
negativ getesteten Patient*innen am Tag der Intervention keine Virusdiagnostik geführt
wurde, die Bedeutung von positiven Abstrichen > 14 Tage nach Diagnosestellung bezüglich
persistierender Infektiosität unklar ist und keine Antikörperdiagnostik erfolgte.
Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Methode auch nach Behandlung einer größeren Patientenzahl
in Zukunft als vorteilhaft erweist.
Zusammenfassend betrachten wir in unserer Institution die "Hybridtracheostomie" trotz
der begrenzten Erfahrung derzeitig als das Verfahren der Wahl für die Anlage eines
trachealen Atemwegs bei langzeitbeatmeten COVID-19-Patienten*innen.
Ein Hybridverfahren als Option zur Tracheostomie wird in der zwischenzeitlich publizierten
S1-Leitlinie zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19 erwähnt
[17].
Erstpublikation in Med Klin Intensivmed Notfmed. 2020;115:585-90. https://doi.org/10.1007/s00063-020-00710-2
Dr. Lutz Nibbe
Zentrum für Notfall- und Intensivmedizin
Klinikum Ernst von Bergmann Potsdam
Charlottenstr. 72
14467 Potsdam
Lutz.Nibbe@klinikumevb.de