Heiko Schlag, Vorstandsvorsitzender der Bank Julius Bär Deutschland, über die kommunikativen
Herausforderungen angesichts von Kontaktbeschränkungen, die Bedeutung persönlicher
Kundenberatung und das Zusammenrücken während der Corona-Krise.
Herr Schlag, wir sprechen uns Anfang Juni in einer Videokonferenz, die im Zuge der
Virus-Pandemie zu einem häufig genutzten Kommunikationsmittel wurde. Inwieweit hat
sich Ihr Arbeitsalltag verändert?
Unser Geschäft lebt vom Kundenkontakt. Und der direkte persönliche Austausch war zumindest
in den harten Wochen der Corona-Krise von der zweiten Hälfte des März bis in den April
nur sehr schwer zu gewährleisten. Zugleich hatten viele unserer Kunden in dieser Zeit
einen erhöhten Beratungsbedarf. Denn die Aktienmärkte standen kurz vor dem Ausbruch
der Pandemie teils noch auf historischen Höchstständen und die darauf folgenden Rückschläge
haben in den Depots natürlich Spuren hinterlassen. Im März lag der Dax bei rund 13.000
Punkten und verlor dann innerhalb von drei Wochen bis zu 40 Prozent seines Werts.
Erschwerend kommt hinzu, dass viele unserer Kunden Unternehmer sind. Und davon mussten
einige ihr Geschäft von heute auf morgen herunterfahren. Die Notwendigkeit, gerade
auch persönlich zu kommunizieren, war demnach höher denn je zuvor.
Wie sind die Kundengespräche angesichts einer solchen Krisenstimmung abgelaufen?
Die Gespräche in der Corona-Phase sind anders verlaufen als in vorherigen Krisen.
In den ersten Wochen der Pandemie im März und April konnten unsere Kunden mehrheitlich
sehr wohl unterscheiden zwischen dieser Krise und anderen Marktphasen mit ähnlich
hohen Kursverlusten. Unsere Berater waren keinen persönlichen Vorwürfen ausgesetzt,
weil die Kunden gesehen haben, dass eine Pandemie letztlich alle Menschen weltweit
betrifft. Auch haben sie zunächst zunächst die persönliche Gesundheit und die der
Familie priorisiert. Danach ging es um das eigene Unternehmen sowie um die Mitarbeiter
und die Erhaltung der Arbeitsplätze. Erst dann kümmerten sich die Kunden um ihr persönliches
Depot. Und weil wir immer dazu geraten haben, nicht aus Panik oder Unsicherheit zu
verkaufen, können unsere Kunden mittlerweile auch relativ entspannt auf die derzeitigen
Entwicklungen an den Börsen schauen.
Worauf basieren die Anlagestrategien Ihrer Kunden derzeit?
Die beste Rendite ist ein guter Nachtschlaf. Denn nur so können unsere Kunden, selbst
wenn die Kurse zwischenzeitlich wie in einem Fahrstuhl nach unten rasen, relativ entspannt
bleiben. In einer solchen Phase müssen unsere Berater eine Einschätzung abgeben und
erklären, was an den Kapitalmärkten noch passieren kann. Es geht darum, Orientierung
zu geben und transparent darzustellen, was gerade im Depot vor sich geht. Mit unseren
Empfehlungen sind letztlich viele unserer Kunden gut gefahren. Wir haben die Aktienquote
in den Mandaten nicht zurückgenommen und sind weiter investiert geblieben. Das bedeutete
in den ersten Tagen des Ausbruchs der Corona-Krise sicherlich für viele Kunden eine
Anspannung. Aber heute sind sie dankbar, wenn sie auf die Kursentwicklung blicken.
Wie erklären Sie sich zwischenzeitliche Börsenpartys, die es in der Krise gab?
Es gab keine Börsenparty. Dazu würde nämlich gehören, dass die Marktteilnehmer ausgelassen
feiern und die Sektkorken knallen lassen. Doch ein solches Verhalten konnte ich nicht
vernehmen. Ganz im Gegenteil, die Anleger sind weiterhin sehr vorsichtig. Sie trauen
dem teils wieder steigenden Kursniveau wohl selbst noch nicht so recht. Die Kapitalmärkte
scheinen entkoppelt zu sein von der realwirtschaftlichen Entwicklung. Das wird auch
in unseren Beratungsgesprächen immer wieder thematisiert und viele Kunden fragen sich,
wie lange das gut gehen kann.
Was antworten Sie den skeptischen Anlegern unter Ihren Kunden?
Die Aufwärts- und damit Gegenbewegung an den Kapitalmärkten hatte eine ganze Reihe
von Gründen. Erstens hat die anfängliche Abwärtsbewegung in gewisser Weise eine Übertreibung
dargestellt. Zweitens haben wir ein geldpolitisches Feuerwerk erlebt. Die Regierungen
fluten die Märkte derzeit mit Liquidität, um die konjunkturelle Erholung zu befeuern.
Selbst Kanzlerin Angela Merkel, die das Geld zusammenhält, trägt das groß angelegte
finanzielle Konjunkturprogramm der Bundesregierung mit. Das hat es in dieser Form
so noch nie gegeben. Und drittens steigen mit der Hoffnung auf einen Impfstoff gegen
das Corona-Virus, auf die Entwicklung eines wirksamen Medikaments gegen Covid-19 auch
wieder die Markterwartungen. Die Börse ist im Grunde genommen die Vorwegnahme der
Zukunft. Und eine übersteigerte Abwärtsbewegung wird letztlich ihre Gegenbewegung
finden.
Wie kommt die Geschäftsstrategie von Julius Bär bei den Kunden hierzulande an?
Wir haben kein Investmentbanking, keinen Eigenhandel und sind auch nicht im Firmenkundenkreditgeschäft
aktiv, was eine unabhängige Anlageberatung erst möglich macht. Stattdessen konzentrieren
wir uns auf die Betreuung und Beratung von vermögenden Kunden weltweit. Und das gilt
für Julius Bär seit 1890, also seit 130 Jahren. Bis zur Finanzkrise 2008/2009 hielten
viele Wettbewerber unser Haus für langweilig, denn wir waren und sind in vermeintlichen
Opportunitäten wie dem US-Subprime-Markt nicht vertreten. Das ist letztlich unserem
geringen Risikoappetit geschuldet. Die Bank Julius Bär hat seit ihrem Bestehen in
keinem Jahr einen Verlust ausgewiesen, ob während Kriegsphasen oder in Wirtschafts-
beziehungsweise Finanzkrisen. Stattdessen kommen wir jedes Jahr auf 500 Millionen
bis eine Milliarde Schweizer Franken an Gewinn. Wir funktionieren wie ein Schweizer
Uhrwerk. Unsere Kunden schauen heute mehr noch als vor der Finanzkrise hinter die
Bilanz einer Bank, der sie ihr Geld anvertrauen. Und da müssen wir uns als Julius
Bär nicht verstecken.
Zu welchen Anlässen sprechen Sie Ihre Kunden an und suchen das Gespräch für die Anlageberatung?
Wenn Kundenberater zu uns wechseln, und das ist in den vergangenen Jahren häufig der
Fall gewesen, dann sind viele dieser neuen Mitarbeiter total überrascht. Denn statt
das Produkt der Woche oder des Monats ins Schaufenster zu stellen, bieten wir eine
unabhängige und individuelle Anlageberatung an. Sie basiert darauf, Investmentchancen
zu erläutern und auf dem Fundament der Risikotragfähigkeit des jeweiligen Kunden ein
individuelles Mandat aufzustellen. Weil wir ganzheitlich beraten und versuchen, die
finanziellen Ziele unserer Kunden in der Tiefe zu verstehen, finden wir relativ Gesprächsanlässe
zur Beratung, Anlage und Strukturierung von Vermögen. Die Gesamtheit unserer Kunden
ist sehr unternehmerisch geprägt und dennoch ziemlich heterogen. Wir haben aktive
und ehemalige Unternehmer, aber auch viele Stiftungen, Family Offices und kirchliche
Einrichtungen. Wir beraten auch Lottogewinner, Profi-Sportler und Künstler. Und für
spezielle Dienstleistungen haben wir Experten im Haus, die sich beispielsweise auf
die Stiftungsgründung konzentrieren.
Wie sieht eine ganzheitliche Beratung bei Ihnen aus?
Wir folgen einem festen Kommunikationsrhythmus, den wir für unsere Kunden individuell
takten. Denn manche wünschen ein monatliches Gespräch, in dem es dann auch wirklich
um die Depotaufstellung geht. Andere bevorzugen hingegen einen Quartalsrhythmus. Und
wir haben auch eine ganze Reihe von Kunden, die geschäftlich so eingebunden sind,
dass sie gar keine Zeit haben, sich im Detail mit ihrem Vermögen zu beschäftigen.
Sie delegieren die komplette Verwaltung an uns und erwarten nur zum Jahresende eine
Renditeübersicht. In außergewöhnlichen Situationen allerdings, wie derzeit in der
Corona-Krise, wird der Kommunikationsrhythmus wesentlich enger. Deshalb haben viele
meiner Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Wochen aus dem Homeoffice heraus
den Kundenkontakt deutlich ausgeweitet. Selbst in den Abendstunden und am Wochenende
hatten wir viel Telefonkontakt. Das war früher gar nicht so gewünscht, kam aber in
diesen ungewöhnlichen Zeiten bei den Kunden gut an.
Nutzen Sie in der Kundenberatung neben dem persönlichen Kontakt auch digitale Lösungen?
Normalerweise setzen wir auf Präsenztermine in relativ kurzem Rhythmus. Beispielsweise
war ich zwischen Mitte Januar und Ende Februar selbst auf 18 Jahresauftaktveranstaltungen.
Die letzte dieser Art fand in Berlin anlässlich der Eröffnung unserer zehnten Niederlassung
in Deutschland statt. Doch seit Ausbruch der Corona-Krise hierzulande haben wir unser
Programm komplett umgestrickt und verbinden High Touch mit High Tech. In einem neuen
Webcast-Format bespricht unser Chefvolkswirt mit unserem Leiter der Vermögensverwaltung
nun in 15 bis 30 Minuten die Entwicklungen auf den Kapitalmärkten auf der Basis von
Kundenfragen, die im Vorfeld per E-Mail eingesendet werden. Und seit einigen Wochen
treffen wir unter den gegebenen Sicherheitsmaßnahmen auch wieder Kunden persönlich.
Gleichwohl werden wir unseren Webcast beibehalten. Überdies könnte das Format auch
um weitere Themen ergänzt, zum Beispiel das Wealth Planning. Darüber wollen wir die
hohe Kontaktfrequenz mit unseren Kunden erhalten und können Themen dann im persönlichen
Gespräch vertiefen. Beratung ist durch nichts ersetzbar - und definitiv nicht durch
unpersönliche digitale Formate. Das spiegeln uns auch unsere Kunden wider, die dankbar
dafür sind, dass wir gerade in der Krise für sie persönlich da waren. Auch wenn dies
zwischenzeitlich nur per Telefon- oder Videokonferenz möglich war.
Gibt es in Ihrem Haus komplett digitale Prozesse?
Selbstverständlich stehen auch wir vor der Herausforderung, unsere internen Prozesse
zu verschlanken und effizienter aufzustellen, also entsprechend zu digitalisieren.
Zum Beispiel bei der Konto- und Depoteröffnung sind bereits Roboterlösungen im Einsatz,
die wir teilweise selbst entwickelt haben. Wir müssen ja aufgrund von regulatorischen
Vorgaben sehr viel dokumentieren und wollen auch aus eigenem Antrieb den Herausforderungen
von Know Your Customer, kurz KYC, sowie dem Thema "Source of Wealth", also der Vermögensherkunft,
nachkommen. Alle diese Informationen müssen sauber in Systemen dokumentiert werden,
wofür wir vermehrt digitale Lösungen nutzen. Ein Roboter kann heute schon die Ausweisdokumente
eines Neukunden scannen, die nötigen Daten selektieren und in die richtigen Felder
unseres Customer Relationship Systems einfügen. Das funktioniert so gut, dass dabei
kein menschlicher Eingriff mehr nötig ist. Diesen Prozess entwickeln wir immer weiter.
Doch es wird nie unser Anspruch sein, den direkten Kundenkontakt mit digitalen Prozessen
zu ersetzen. Das entspricht nicht unserem Geschäftsmodell. Dafür gibt es andere Anbieter
am Markt, zum Beispiel Robo Adviser, die sich genau darauf konzentrieren.
Welche Ziele haben Sie für Ihr Geschäft am Standort Deutschland gesetzt?
Wir sammeln keine Standorte, sondern haben immer mehr oder weniger opportunistische
Wachstumsmöglichkeiten genutzt. Entscheidend für das Private Banking sind die passenden
Berater mit einem belastbaren Kundennetzwerk. Auf diese Weise wurden letztlich auch
unser jüngster Standort in Berlin gegründet sowie im vergangenen Jahr unsere Niederlassung
in Hannover.
Wie ist das Jahr 2020 bisher für Ihr Haus gelaufen?
Im Hinblick auf 2020 darf ich in aller Bescheidenheit sagen, dass wir bislang keine
strategischen oder rechnerischen Anpassungen vornehmen mussten. Trotz der Corona-Krise
haben wir unsere Ziele übererfüllt. Das klingt im ersten Moment etwas schräg, aber
unsere Beratung und die sehr proaktive Kommunikation sowie die Klarheit unseres Geschäftsmodells
werden bei Kunden und vor allen Dingen auch bei Nichtkunden als sehr attraktiv wahrgenommen.
Im ersten Halbjahr 2020 wurde uns über Weiterempfehlungen Vermögen von einer Dreiviertelmilliarde
Euro zusätzlich anvertraut. Die Assetbasis ist heute - und das hätte ich vor acht
Wochen selbst nicht geglaubt - höher als zu Beginn des Jahres, obwohl die Märkte zwischenzeitlich
tief gefallen sind. Hinzu kommt, dass die Erträge mit mehr als 20 Prozent Wertsteigerung
gegenüber dem Vorjahr zu Buche schlagen. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass
wir in 90 Prozent der Fälle mit unseren Kunden ein so genanntes All-in-Fee-Modell
vereinbart haben.
Wie werden die Honorare für Ihre Vermögensberatung berechnet?
Unsere Kunden zahlen keine Gebühren oder Provisionen für Wertpapiertransaktionen.
Stattdessen vereinbaren wir in Abhängigkeit von dem uns zum Management anvertrauten
Vermögen eine pauschale Beratungsgebühr. Diese wird zu Beginn des Beratungsprozesses
festgelegt und variiert je nach Größe des Depots. Das ist die transparente Grundlage
und es fallen keine weiteren Kosten an, weder Gebühren für Transaktionen wie bereits
erwähnt noch für die Depotführung. Auf der Basis dieser All-in-Fee können wir mit
mehr oder weniger 90 Prozent der Erträge relativ planbar rechnen. Und wenn wie seit
Jahresbeginn die Assetbasis steigt, dann steigen auch die Erträge. Das heißt, wir
arbeiten im profitablen Bereich. Wie auch im vergangenen Jahr wollen wir unser Geschäft
weiter ausbauen und haben noch einiges vor. Eines unserer Ziele ist es, Julius Bär
im Hinblick auf Wachstum, Qualität und Kundenzufriedenheit zur Top-Adresse in Deutschland
weiterzuentwickeln.
Also mussten Sie Ihre Ziele aufgrund der Corona-Krise nicht neu bewerten?
Nein, wir mussten unsere Ziele nicht krisenbedingt anpassen. Im Gegenteil, wir forcieren
unseren Expansionskurs. An allen zehn Standorten, an denen wir derzeit in Deutschland
vertreten sind, wollen wir uns auch künftig weiter verstärken. Denn wir erhalten eine
ganze Reihe von Bewerbungen von Beratern, mehr noch als vor Ausbruch der Pandemie.
Hinzu kommt, dass wir Formate, die von der Krise forciert werden, etwa die Webcasts
für unsere Kunden oder die Möglichkeiten von Homeoffice bei unseren Mitarbeitern,
beibehalten und vermehrt nutzen werden.
Was haben Sie persönlich aus der Corona-Krise gelernt?
Auf jeden Fall nehme ich das Zusammenrücken im Team mit. Die persönlichen Erfahrungen
in den vergangenen Monaten haben uns noch näher zusammengebracht. Denn auch bei uns
gab es einzelne positiv getestete Corona-Fälle, die aber glücklicherweise durchweg
komplikationslos verlaufen sind. Alle betroffenen Kolleginnen und Kollegen sind schon
wieder wohlauf. Besonders hervorheben möchte ich aber die Geschichte einer Kollegin,
die auf mich zukam und sagte, wie großartig sie die Möglichkeit zum Homeoffice finde.
Weil sie nun von zu Hause effizienter arbeite, könne sie sich besser um einen schwer
erkrankten Angehörigen kümmern. Solche sehr persönlichen Erlebnisse werden für mich
immer in Erinnerung bleiben.
Das Interview führten Christian Kemper und Stefanie Hüthig in einer Videokonferenz.
Kompakt
Name: Julius Bär Deutschland
Standorte in Deutschland: Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover,
Kiel, Mannheim, München, Stuttgart, Würzburg
Mitarbeiter in Deutschland: 200